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Das Dachgeschoss wurde zur neuen Pfarrerswohnung ausgebaut. In der Stufenglaskonstruktion mit versteckter Markise spiegelt sich die Kirche St. Josef.


Frei + Saarinen Architekten
Pfarreihaus St. Josef
Zürich, 2007-10


<Nach dreijähriger Planungs- und Umbauzeit konnte das Pfarreihaus St. Josef in Zürich wiedereröffnet werden. Frei + Saarinen Architekten hatten sich 2007 in einem zweistufigen Auswahlverfahren mit einem radikalen Umbauvorschlag durchgesetzt, der eine Implementierung eines - in Bezug auf die Architektur das hundertjährigen Bestandes - fremdartigen Foyerraum vorsah.
Das „öffentliche Gesicht“ der Kirchgemeinde ist nun grosszügiger, transparenter und einladender, wobei die hohe Präzision in der Ausführung („Null Toleranz!) nicht ohne Schwierigkeiten umzusetzen war. Tatsächlich wurde der - durch seine helle Täfelung skandinavisch anmutende - Foyerraum von Möbelschreinern - und nicht wie zuerst geplant - von Zimmersleuten gebaut. Der Pfarrer der Kirchgemeinde erwies sich als Katalysator für kompromisslose Architektur: Nachdem die Architekten aufgrund der schieren Grösse der neuen Eingangsfront eine Unterteilung derselben vorschlugen wurden sie geradezu genötigt, das im Auswahlverfahren präsentierte Bild einer riesigen Scheibe auch umzusetzen.
Anfängliche Befürchtungen, wonach eine solch „trendige“ Formensprache keinen Platz im altehrwürdigen Haus hätte, erwiesen sich als unberechtigt, vor allem auch weil es durch die sehr „uncoole“ Materialisierung und Detaillierung gelang, der polygonal-facettierten Formensprache  eine Alltäglichkeit mit einer - einem Pfarreihaus durchaus angemessenen ernsten Atmosphäre - zu verleihen.
Experimentierfreudig erwies sich der Pfarrer beim Entwurf seiner eigenen Wohnung. Diese findet im neu ausgebauten Dachgeschoss Platz, welches über einem Teil der ehemals grösseren Dachterrasse erweitert wurde. Ehemalige Dachfläche wurde so zur geneigten Innenwand, wodurch die neue Pfarrerswohnung einen fünfeckiger Wohn- und Essbereich mit vier geneigten Wänden erhielt, von dem der Pfarrer nun ungehindert auf seine Kirche blickt.

Eingangsfront und Lukarne sind die einzigen von aussen sichtbaren Elemente des Umbaues, wobei es das erklärte Ziel war, diese durch „ästhetische Nullaussagen“ gegenüber dem reichhaltigen Schmuck des Bestandes möglichst zurücktreten zu lassen. Letztlich wirken sie bloss als zwei gläsern spiegelnde Flächen, was allerdings bedingte, die Lukarne der Pfarrerswohnung mit einer „James-Bond-Markise“ auszustatten (siehe auch http://www.youtube.com/watch?v=7Z-DlrORjC4 ).


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Die Scheibe der neuen Eingangsfront mit gewaltigen Ausmassen ist eine Sonderanfertigung. Die Glasdicke ist statisch bemessen, der Metallrahmen im Inneren des Profils  "getunt".




Das Foyergeschoss vor und nach dem Umbau: Das neue Herzstück des Pfarreihauses öffnet sich zu Strasse, Hof und Himmel.



Der neue Foyerraum ist ein Alien, weil aufgrund der bewegten Umbaugeschichte des Pfarreihauses ohnehin keine historischen Spuren mehr freiuzlegen waren.




Aufgang vom Untergeschoss, wo sich Jugendräume und eine Kegelbahn befinden.



Der Foyerraum kann auch als grosses Möbel gelesen werden. Tatsächlich wurden die Innenflächen von Schreinern mit "Null Toleranz" in den Bestand implementiert.



Das ehemalige Foyer vom gleichen Blickpunkt.



Das dreieckige Oblicht erinnert an das christliche Symbold des "Gottersauges" und gibt dem neuen Foyer eine Mitte.






Technische Notwendigkeiten, wie Heizungen, Lüftung oder Lautsprecheranlagen sind hinter der geschlitzten Wandtäfelung verborgen.



Das Detail der "offenen Ecke" ist unüblich. Sie ist die logische Konsequenz aus dem "Allover-Prinzips", also der gleichen Behandlung von Decke (Fugen waren dort zwingende notwendigkeit) und Wand.



Neuinterpretation einer klerikalen Nische.



Die Zickzackform führt in der Perspektive zu einer räumlichen Staffelung. Paradoxerweise wirkt der Raum gerade durch die Absenz einer duchgehenden Blickachse grosszügig.



Durch die traditionelle Materialisierung und Detaillierung wirkt der Raum trotz seiner ungewohnten Form alltäglich.




Raumstudien 2007. Erst durch eine verbindende Decke, die den vorhandenen Dechensprung überspielt wirkt der Raum unangestrengt und grossügig.



Aufgang zum Dachgeschoss. Die Türen zu den "anständig sanierten" Wohn- und Arbeitsräumen im ersten und zweiten Obergeschoss sind Replikas, die heutigen Brandschutzanforderungen entsprechen.



Konferenzraum für Bischöfe.




Im neu ausgebauten Dachgeschoss wohnt der Pfarrer. Geneigte Dachfläche wird geneigte Innenwand.



Blick in den neuen fünfeckigen Wohn- und Essbereich.



Vier der fünf Wände sind geneigt. Herr Pfarrer nennt's die "kreativste Wohnung in der Stadt".



Die Raumgeometrie ist letztendlcih die Konsequenz aus dem Willen möglichst viel bestehendes zu erhalten.



Die Aussenflächen wurden raumseitig gedämmt, wodurch die anthroposophisch anmutenden Fensterleibungen noch prägnanter wurden.




"James-Bond-Markise", an ein Cabriodach erinnernd.


Credits
Bauherrschaft: Röm. Katholische Kirchgemeinde St. Josef, 8005 Zürich

Auftragsart: Zweistufiges Planerwahlverfahren, durchgefühet durch das Amt für Hochbauten zürich, Oktober - November 2007
Durchführung Planerwahl: Amt für Hochbauten der Stadt Zürich
Planung: Frei + Saarinen Architekten, Zürich, Barbara Frei, Martin Saarinen,
Nicolaj Bechtel, Stefan Wülser, Corina Trunz, David Winzeler, Bastien Turpin
Bilder: Hannes Henz, Nicolaj Bechtel, Stefan Wülser
Copyright des gesamten Seiteninhalts bei Frei + Saarinen Architekten, Zürich, info@freisaarinen.ch, www.freisaarinen.ch



Interview
Martin Saarinen, befragt von Felix Ackerknecht

Was hat Sie an der Bauaufgabe am meisten interessiert?
Das interessante am Bauen im Bestand ist die Auslotung des latenten räumlichen Potenzials innerhalb einer mehr oder weniger gegebenen Struktur. Im besten Fall gelingt es, den architektonischen Ausdruck des Vorhandenen respektvoll zu schärfen und gleichzeitig mittels präziser Eingriffe neue, vielleicht überraschende räumliche Qualitäten zu schaffen. Dazu sind oft mehrere Entwurfsstrategien erforderlich, wodurch ein Projekt wie das Pfarreihaus einen heterogenen- oder „gesampelten“ Charakter erhält. Wenn Neubau Komposition ist, dann wäre Umbauen eher Mixen und Cutten, wobei die Herausforderung darin besteht, die Übergänge zwischen der Vielzahl an räumlichen und stofflichen Komponenten überzeugend auszuformulieren.

Wie würden Sie den durchlaufenen Entwurfsvorgang beschreiben? 
Als vergleichsweise linear. Im Erdgeschoss sollte beispielsweise ein neues Foyer implantiert werden - eine Chance, das „öffentliche Gesicht“ der Pfarrei einladender, heller, grosszügiger und stimmungsvoller zu gestalten. Die obsessive Recherche mittels unzähliger Computermodelle führte zur Erkenntnis, dass ein schon fast maschinelles Durchexerzieren einer simplen Entwurfsanleitung zu einer überzeugenden und nachvollziehbaren Lösung führen könnte: Erstens: Den neuen Foyerraum im Zickzack um die mutmasslichen Punkte der statischen Lastabtragung quer durch das Haus legen, wodurch dieser mehr Licht und Ausblick gewinnt (das komplexe Tragverhalten des Bestandes war beim Vorprojekt nebulös, unsere Spekulationen erwiesen sich glücklicherweise als zutreffend). Zweitens: Eine neue Decke als zwischen zwei gegebenen Niveaus vermittelndes Kontinuum entwickeln. So wird dem Foyer eine möglichst grosszügige Raumwirkung verliehen und der mittige Lichteinfall von oben bringt Licht, akzentuiert den Zugang zum Pfarreisaal und „bremst“ den länglich ausgedehnten Raum. Drittens: Das aus der Deckengestaltung resultierende Prinzip der abgewinkelten Flächen in Korrespondenz zu diesen auf die Foyerwände übernehmen, wodurch eine einheitliche Raumwirkung mit einer prägnanten Charakteristik entsteht. Viertens: Den „trendigen“ Charakter der facettierten Auskleidung mit einer „uncool-traditionellen“ Materialisierung und Detaillierung relativieren. So entsteht eine ganz eigene, spezifische Atmosphäre mit dem gebührenden Ernst.

Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?
Wir ersetzen „Ort“ durch „bestehende Gebäude“: Im Gegensatz zum Umbau des Kino Xenix, wo „Mimesis“ und „Verwischen“ zentrale Begriffe waren, lassen sich die entwerferischen Massnahmen beim Pfarreihaus nicht an zwei Worten festmachen. Das Umbauprojekt ist zu heterogen und zerfällt in Bezug auf die gewählten Entwurfsstrategien in verschiedene Themenbereiche, deren Widersprüchlichkeit sich stellvertretend an der janusköpfigen Eingangsfront erläutern lässt: Raumseitig wurde eine formale Nähe zum Ausdruck der getäfelten Wand- und Deckenflächen geradezu forciert, indem der Fensterrahmen in völligem Widerspruch zu jeglicher konstruktiver Logik durch „unnötige“ Profile aufgedoppelt wurde. Dazu verhält sich das Element aussen jedoch völlig konträr: Hier wird jegliche formale, stoffliche oder farbliche Anlehnung an den Bestand vermieden - das neue Foyer sollte keinesfalls mit einer eigenen Fassade im klassischen Sinne in Erscheinung treten, sondern als „Nichts“ zwischen zwei altehrwürdigen Häusern. In schon fast schizophrener Manier wurde Innen profiliert, eine Fügung suggerierend und aussen geglättet bis an die konstruktiven Grenzen des Materials.

Wie ist das Verhältnis des Entwurfs zum vollendeten Bauwerk? Gab es bedeutende Projektänderungen oder veränderte ein Lernprozess das architektonische Ziel? 
Die im Rahmen des Planerwahlverfahrens produzierten Bilder vermochten zu begeistern und unsere Ideen erwiesen sich als robust genug, um auch die im weiteren Verlauf der Planung formulierten Wünsche von Bauherrschaft, Denkmalpflege und Feuerpolizei mühelos integrieren zu können. Darüber hinaus beauftragte uns die Bauherrschaft im Zuge der Weiterbearbeitung mit der Erweiterung des Dachgeschosses zu einer unkonventionellen Wohnung, deren Räumlichkeit sich massgeblich davon ableitet, dass ein Teil der ursprünglichen Dachfläche zur geneigten polygonalen Innenwand wurde. So entstand beispielsweise ein „gekippter“ fünfeckiger Wohnraum, ein Raumexperiment, zu dem der neue Bewohner (Herr Pfarrer höchstpersönlich) bemerkenswerterweise bereit war. Seine Identifikation mit dem Projekt ging so weit, dass er uns manchmal geradezu nötigte, unsere Ideen kompromissloser umzusetzen als wir es je gewagt hätten: Als sich herausstellte, das die neue Eingangsfront aufgrund der schieren Grösse kaum machbar sei, beharrte er hartnäckig auf dem ursprünglichen Bild ohne weitere Fensterteilungen. Die nur im Ausland produzierbare, 1.5 Tonnen schwere Scheibe auf dem statisch unsichtbar „getunten“ Metallrahmen darf als prototypische Konstruktion bezeichnet werden, ebenso die motorbetriebene „James-Bond-Blende“ der Dachgauben-Markise. Für uns ist das nun sichtbare Resultat des intensiven Dialogs mit der Bauherrschaft ein erneuter Beweis dafür, dass eine „konstruktive Reibung“ zwischen Auftraggebern und Planern die Qualität eines Projektes steigern kann und zu einer hohen Identifikation der Bewohner mit ihrem neuen Haus führt.

Bezieht sich das Bauwerk zu Euren anderen Entwürfen und gliedert sich in die Reihe Eurer Werke? 
Obwohl uns die Etablierung einer wiedererkennbaren Formensprache oder „Handschrift“ nicht sonderlich interessiert, fällt den Besuchern des neuen Pfarreihauses eine gewisse Verwandtschaft zum Kino Xenix
auf, insbesondere die Täfelung im Innenraum sowie die Fügungsprinzipien der Teile zueinander sind durchaus vergleichbar: Die etwas altbackene Fussleiste der erweiterten Xenixbar (dort ein zwingendes Mittel im Dienste einer Verwischungs-Strategie) taucht im Pfarreihaus wieder auf, obwohl sie aus konstruktiver Sicht nicht nötig wäre. Unserer Meinung nach können sich solche Nuancen enorm auf die Raumstimmung auswirken, nicht zuletzt weil sie dem im Schweizer Mainstream vorherrschenden Streben nach grösstmöglicher Abstraktion entgegenwirken, der Architektur eine Massstäblichkeit und Bodenhaftung verleihen. Zur Zeit planen wir ein Wohnhaus, dessen Räumlichkeit massgeblich aufgrund unserer Erfahrungen mit dem Xenix und dem Pfarreihaus entwickelt wurde. Sowohl Kinobar als auch Foyer sind in Bezug auf Dimension, Atmosphäre und Gebrauch ja durchaus mit Wohnräumen vergleichbar.
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